Im Jahr 2019 veröffentlichte das Dokumentations-Kollektiv Berlin Busters Social Club (BBSC) das Buch „Unerhört! Adbusting gegen die Gesamtscheiße“ im Selbstverlag. Damals gaben ein paar Mitglieder ein Exklusivinterview mit Reporterlegende und Spiegel-Edelfeder Claas Relotios. Das haben wir hier archiviert, weil es sehr gut das Selbstverständnis des BBSC wiedergibt.
Anlässlich der Neuerscheinung von „Unerhört! Adbusting gegen die Gesamtscheiße“ im Unrast Verlag 2020 haben Boris Buster und Adbustian Bustefka erneut ein Interview mit Einblicken in ihre Arbeit gegeben. Sie berichten, was sie im vergangenen Jahr erlebt haben und warum ihrer Meinung 2018 das Goldene Jahr des Adbustings war.
Hallo Boris, Hallo Adbustian. Ihr sagt, 2018 war das Goldene Jahr des Adbustings. Aber euer Buch ist doch erst 2019 erschienen? Woher kommt diese Bescheidenheit?
Adbustian: Naja, das Buch zeigt ja größtenteils Bilder von Aktionen, die wir in 2018 fotografiert haben. Aber 2019 war na klar auch Klasse. Es ging ja gleich spektakulär los. Da meint man, einen sehr seriösen Journalisten gefunden zu haben, die bereit ist, ein Interview mit uns im Spiegel zu platzieren. Und dann platzt das, weil der Herr Relotius sich seine Storys bisher häufig ausgedacht hat…
Boris: Also ich fand den Book Release cool, auch wenn niemand der anwesenden Journis drüber geschrieben hat. Die Idee, die Masken vom Schah-Besuch mit unseren Gesichtern zu versehen und sowohl an uns, als auch ans Publikum auszugeben, war klasse. Der Effekt, dass verschwimmt, wer zum Kollektiv gehört uns wer nicht, ist ganz super eingetreten. Die ganzen Kreativmaßnahmen, die dafür notwendig waren, haben sich echt gelohnt.
Adbustian: In der Folgezeit haben sich dann immer mal wieder Journalist*innen für uns interessiert. Denen haben wir dann den Link zum Interview auf unserem Blog geschickt. Damit die auch wissen, mit wem sie es zu tun haben. Und dann haben wir in der Regel nie wieder was von denen gehört. Scheint also gut funktioniert zu haben, der Branche den Spiegel vorzuhalten.
Boris: Kommunikationsguerilla mögen deutsche Journalist*innen nicht besonders. Jedenfalls nicht, wenn sie vor ihrer Haustür stattfindet, und noch keine andere Redaktion das Geschehen für sie in Narrative sortiert hat. Moderne Redaktionsstuben im neoliberalen Zeitalter funktionieren leider als Artikelfabriken. Kommunikationsguerilla ist dafür zu anstrengend. Da muss man Sachen hinterfragen und recherchieren. Das ist nichts, womit sich die normale Hauptstadtjournalist*in gerne beschäftigt. Die Arbeitsbedingungen lassen nicht zu, dass Journalistinnen sich besonders häufig mit multiplen Bedeutungsebenen auseinander setzen können. ‚Zeit ist Geld zählt‘ dort leider mehr denn je.
Adbustian: Und kulturell vom Habitus her sehen sich Journis als vermeintlich neutrale und objektiv Beobachtende. Ein solcher Zugang zur Welt ist in unseren Augen problematisch. Deshalb macht radikale Kommunikationsguerilla Journalist*innen zum Teil der Inszenierung. Das kommt meistens überhaupt nicht gut an. Erst recht nicht, wenn die Journalist*innen auch noch drauf reingefallen sind… was anderes ist, wenn sie analog zum Prinzip ‚embedded journalists‘ vorher eingeweit werden. Dann sind sie zwar auch Teil der Inszenierung, können sich aber einreden, sie beobachteten nur…
Adbustian: Aber Ausnahmen gibt’s natürlich auch: Robert Klages ist solange dran geblieben, bis er im Tagesspiegel was zum Buch schreiben durfte. Übrigens auch ein Interview! Und Peter Nowak, ein freier Journalist, der auch das Vorwort zur zweiten Auflage geschrieben hat, bereichert Berichte über Aktionen der Kommunikationsguerilla regelmäßig mit interessanten Gedanken. Sebastian Bähr war für das nd sogar ne ganze Nacht mit einem kleinen Adbusting-Kollektiv in Sachen Militärwerbung unterwegs…und Sabrina Pohlmann hat eine sehr anregende kritische Rezension auf kritisch-lesen.de veröffentlicht. Gareth Joswig von der taz darf man mit seinem Bericht auch nicht vergessen.
Ihr hattet im letzten Jahr über 80 Veranstaltungen in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Was war das prägendste Erlebnis auf euren Reisen?
Adbustian: Ich war sehr überrascht, dass die Gerüchte wahr sind. Hinter dem S-Bahnring und den unendlichen Weiten Brandenburgs kommt noch was außer dem Scheibenrand. Dort leben Leute. Viele Leute. Und sie leben in Städten. Großen Städten. Mit riesigen Bahnhöfen! Köln zum Beispiel. Ich war sehr überrascht und fassungslos, dass die Legenden über Länder hinterm S-Bahnring wahr sind. Und Nähe zum Scheibenrand macht den Leuten erstaunlich wenig zu schaffen. Ich hatte jeden Tag auf der Torunee Angst, dass ich runter falle. Auch haben die Leute dort tatsächlich ein Produkt, was dem in Berlin als Sterni bekannten Billigfusel erstaunlich nahe kommt.
Boris: Mir ging es zwar ähnlich, aber mein Highlight waren die Touren durch Österreich und Schweiz. Ich war an Anfang skeptisch. Es gab da nicht einen einzigen Akteur mit öffentlicher Förderung und die wollten alles über Spenden bei der Veranstaltung aufbringen. Und völlig überraschend für uns Berliner*innen funktioniert das in den Szenen dort und geht sich am Ende für alle Beteiligten aus.
Adbustian: Ja, generell war die Zeit in der helvetischen Konföderation und in der Austria ziemlich cool. Die Veranstaltungen waren alle nicht sehr groß, aber sehr gut organisiert. Den Berliner Running Gag, dass nach der Hälfte der Zeit wer reinkommt, und z.B. seine Bandprobe in unserem Workshop aufbaut, weil die Anarchos vor Ort sich nicht richtig abgesprochen haben, gabs da einfach nicht. Egal, wo wir waren, die Veranstaltungen waren alle sehr wertschätzend organisiert. Vernünftige Werbung, vernünftige Unterbringung, man kommt an und wird gefragt ob man Hunger hat: Alles leider in den Szenen in D-Land keine Selbstverständlichkeit. Man merkte, dass die das krass wertschätzen, dass wer von weit weg da ist, um was zu erzählen.
Boris: Ich hatte den Eindruck, dass die Leute in den Szenen generell älter sind. Beim Smalltalk bei der Vorstellung bekam ich einmal den Satz „Ich bin die Jüngste hier im Kollektiv. Ich bin seit acht Jahren dabei“ zu hören.
Adbustian: Generell von der Region unabhängig war der Austausch mit den Teilnehmenden meistens ermächtigend produktiv. Teilweise kam es zu regelrechten Streitereien unter den Teilnehmenden, ob man sowas nicht auch mal ausprobieren sollte. Einmal ging die Diskussion noch bis weit in den nächsten Morgen, wegen Zugticket musste ich leider mit gehörigen Umdrehungen um 5 Uhr abbrechen und auf meine Isomatte. Die anderen saßen noch, als ich um 11 Uhr die Tür hinter mir zuzog. Das hat mir gut gefallen. Weil es zeigt, dass kreative Widerstandsformen in den letzten Jahren vielleicht vernachlässigt wurden. Dabei arbeiten wir ja nicht an der Abschaffung von Demos und Transpis. Aber wir wollen mit unserem Buch und den Veranstaltungen eben zeigen, dass es da immer auch mehr gab und gibt. Und dass das keine Raketenwissenschaft ist.
Aber warum war denn nun 2018 das Goldene Jahr der Kommunikationsguerilla?
Boris: 2019 ist das Jahr, in dem das Innenministerium von Horst Seehofer Adbusting zur Gefahr für Deutschland erklärte. Wir haben das vor allem daran gemerkt, dass es im Spätsommer nochmal einen deutlichen Schub bei den Veranstaltungsanfragen gab. Das lag daran, dass Horst Seehofer sich entschieden hatte, PR fürs Adbusting zu machen. Sein sogenannter „Verfassungsschutz“ hatte es im Herbst 2019 auch endlich geschafft, den sogenannten „Bundesverfassungsschutzbericht 2018“ herauszugeben. Auf Seite 128 haben sie netterweise ein Adbusting gedruckt, und schreiben, dass das ganz doll gefährlich für die Verunsicherungsbehörden sei. Das Kunststück, mit so Kleinkram auf der „BRD most wanted-Liste“ zu landen, brachte dem Adbusting deutlich mehr Popularität und Interesse ein. Und uns mehr Veranstaltungsanfragen…
Adbustian: Was ähnliches erlebten wir Anfang Oktober. Das Berliner LKA hat, wie wir jetzt dank einer Anfrage von Anne Helm und Niklas Schrader wissen, seit 2015 nicht einen, nicht zwei, sondern drei Sachbearbeiter*innen für Adbusting. Und weil das ja, wie wir aus dem VS-Bericht von Schirmherr Horst lernen können, was ganz böses ist, hält man beim LKA und beim Staatschutzsenat des AG Tiergartens es auch völlig verhältnismäßig, deswegen Hausdurchsuchungen zu machen. Anfang Oktober war dann der Showdown. Das LKA hatte einen Gerichtprozess gegen eine Person angezettelt, der sie vorwarf, Mitglied der Terror… äh Adbustinggruppe „Dies Irae“ zu sein. In ihrer alles Linke hassenden Verblendung waren die sich dann auch ganz sicher, das sie da ein Urteil durchkriegen.
Boris: Zusammen mit Klaus Poster und anderen Leuten von der Soligruppe Plakativ haben wir dann Pressearbeit dazu gemacht. Adbustian und ich waren auf dem Weg zu einer Veranstaltung weit weit hinterm S-Bahnring und sind den ganzen Tag ICE gefahren. Der war proppevoll mit ganz normalen Deutschen. Erste Klasse wollte uns niemand bezahlen. Notgedrungen haben wir dann Redaktionen durchtelefoniert, während all die Deutschen mithören mussten.
Nachdem wir dann x-mal unseren Spruch aufgesagt haben, fragte nach und nach der halbe Wagen, ob sie das richtig verstanden haben, dass das Berliner LKA 1.200 Seiten Akte und ne Anklage schreibt wegen überklebter Werbung. Leider mussten wir das dann bestätigen, was bei den im Zug versammelten Deutschen zu interessanten Erkenntnissen über den Begriff der Rechtsstaatlichkeit führte.
Adbustian: Im Gerichtsprozess mussten die Staatsschützer*innen mitansehen, wie eine Richter*in, die gerne verurteilen wollte, und auch von der „Schuld“ des Angeklagten überzeugt war, lieber einstellt, weil sie die Erfüllung des Straftatbestandes „besonders schwerer Diebstahl“ und die Verhältnismäßigkeit bezweifelte. In Thüringen gabs sogar ne Staatsanwaltschaft, die die mangelnde Strafbarkeit von Adbusting als Statement an die Zeitung gab.
2018/19 ist damit auf der einen Seite ein Höhepunkt. Die Aktionen erreichen ein Niveau, dass die Verunsicherheitsbehörden völlig überreagieren, und dann auch noch vor Gericht Niederlagen kassieren. Wir wir mittlerweile aus einer Kleinen Anfrage von Ulla Jepke wissen, war Adbusting in dieser Zeit sogar gleich viermal Thema im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern.
Boris: Gleichzeitig geht die Goldene Zeit des Adbustings zumindest in Berlin, aber auch anderen größeren Städten erstmal vorbei. Wie der Journalist Peter Nowak im neuen Vorwort oder auch die Journalistin Sabrina Pohlmann in ihrer Rezension betonen, ist digitale Werbung überall krass auf dem Vormarsch. In Berlin sind auch für Adbuster*innen attraktive Standorte wie der Kuhdamm, der Alex, die Friedrichstraße oder die 42 wichtigsten Umsteigestationen bereits fast komplett digitalisiert. Die Kolleg*innen von der Konsumkritik haben irgendwie nen guten Moment verpasst, die alle zu zerdeppern, als das noch überschaubar war… Mit Papier und Kleister kommt man also nicht mehr weiter. Und mit dem Eindringen in digitale Infrastrukturen steigt der Strafrahmen massiv an…
Adbustian: Komm, lass über was schönes reden. Ich hab leider keine Rote Hilfe dabei, um die Stimmung wieder zu heben, aber mein Highlight war ausgerechnet eine der wenigen Veranstaltungsabsagen. Im Frühjahr hatte uns ein AStA aus Hessen angefragt. Aus irgendeinen Grund hab ich die gegooglet. Und siehe da: Ne Koalition aus RCDS und Liberalen. Wir haben denen dann zurückgeschrieben, dass wir gerne zu ihnen kommen, erst recht, wenn sie gut zahlen, aber das sie unseren Blog nochmal ganz genau studieren sollten. Denn sie müssen wissen, dass wir ganz schlimme linksextremistische Linksradikale seien. Für uns sei das mit ihnen kein Problem, wir haben uns bei nem Empfang der Bundes-FDP auch schonmal hart einen angezwitschert. Im aus unserer Perspektive schlimmsten Fall finden ihre Leute uns halt scheiße und sie müssen trotzdem unsere Fahrtkosten zahlen, aber für sie bedeutet das ja vielleicht mehr Ärger. Und ein detailliertes Konzept der Veranstaltung haben wir auch noch angefügt, damit die ne faire Chance haben, sich unsere Show vorzustellen. Fanden die ok: Der kommenden Funktionselite müsse man zutrauen, sich auch mit kontroversen Inhalten angemessen auseinander zusetzen. Und wenn nicht: Wo sollen die das lernen, wenn nicht an der Uni?
Vier Wochen vor der VA war dann Machtwechsel. Linke, Grüne und Jusos haben auf einmal das Sagen und stolpern über den Kalendereintrag für die Veranstaltung mit uns. Daraufhin bekamen wir eine Mail: Sie hätten im AstA nochmal drüber geredet. Wir würden im Interview mit Claas Relotius sagen, dass wir linksradikal seien. Wie wir das meinen täten und wie wir dazu stünden. Einige Leute bei ihnen machen sich nämlich Sorgen, ob das nicht strafbar sei, wenn man über Adbusting öffentlich redet und auch noch Bilder zeigt. Und wir hätten kein Impressum auf unserem Blog, darüber sollten wir uns doch auch mal Gedanken machen…
Wir haben darauf ziemlich rotzfrech geantwortet, dass wir na klar zu dem linksradikal stehen. Und zwar meistens aufrecht auf beiden Beinen. Darauf haben die dann erwartungsgemäß den Termin abgesagt und wir haben uns herrlich über die Story beömmelt. Tickets hatten wir zum Glück noch nicht gebucht, denen wäre zuzutrauen gewesen, dass wir auf denen Sitzen geblieben wären.
Boris: Ich hab außerdem eigentlich fest damit gerechnet, dass die Diakonie uns wegen des Covers verklagt… ist irgendwie nicht passiert. Aber kommt ja vielleicht noch und hilft beim Verkaufen der zweiten Auflage.
Gutes Stichwort: Die zweite Auflage erscheint beim Unrast-Verlag und nicht mehr im Selbstverlag. Warum? Im Interview letztes Jahr hattet ihr noch geätzt, dass sich linke Verlage nicht für Aktionsliteratur interessieren würden, und nun habt ausgerechnet ihr nen Buchvertrag?
Adbustian: Äh ja. Stimmt. Ich kann mich düster erinnern, sowas nach der fünften oder sechsten Roten Hilfe zu Claas gesagt zu haben… oder warst du das, Boris???
Boris: Also: Erstmal bin ich froh, dass wir die Bücher losgeworden sind, und auch noch die Direktkredite, die uns das ermöglicht haben, zurückzahlen konnten. Danke an dieser Stelle nochmal für die Darlehen! Wenn man den Leuten sagt, dass sie die Bücher auch klauen dürfen, wenns darum geht, ihre Friendz anzufixen, dass im eigenen Wohnzimmer oder Vereinsheim auch mal auszuprobieren, ist das ja nicht selbstverständlich… Auf einer anarchistischen Buchmesse sind wir mit wem vom Unrast-Verlag ins Gespräch gekommen und waren uns auch recht schnell einig…. Zu unserer Ehrenrettung sei gesagt, dass es eines der ganz wenigen aktionistischen Bücher im Verlagsprogramm ist und wir da sehr stolz drauf sind.
Adbustian: Boris, wir hatten doch gesagt, das wir ein nettes seriöses Interview machen, jetzt wo wir einen Verlag haben.
Boris: Come on, was hast du? Wir haben bisher noch nichtmal gegen den scheißteuren Hochglanzaktivismus á la Peng! und ZPS ausgeteilt!
Adbustion: Ist ok. Tief durchatmen, Boris. Vielleicht beenden wir das hier einfach an dieser Stelle mit Schleichwerbung für den Book Release?
Boris: Oh ja. Book Release ist am Freitag, den 13.02.2020.
Adbustian: Geil, oder? Freitag der 13.03. um 20 Uhr im Buchladen Schwarze Risse. Soll so gute 90 Minuten gehe. Wir haben außerdem Regierungsobergeheimrat Müllhaldenzwang vom Bundesamt für Verfassungsschmutz (BfV) und Oberst i. h. V. Zornig vom Militarischen Abwehrdienst (MAD) eingeladen. Die beiden werden uns von ihrer Arbeit im Gemeinsamen Adbusting-Abwehrzentrum von Bund und Ländern (GAAZ) berichten. Und alle Gäst*innen mögen bitte rote Clownsnase mitbringen! Karneval is noch nich vorbei.
Vielen Dank für das Interview.