Exklusivinterview von Claas Relotius mit dem Berlin Busters Social Club
Aktionskunst ist hip und pop. Passend zum Trend hat der Berlin Busters Social Club nun das Buch “Unerhört. Adbusting gegen die Gesamtscheiße” veröffentlicht. Das Buch zeigt linksradikale Adbusting der letzten Jahre größtenteils aus Berlin. Dabei gehen sie über Konsumkritik weit hinaus. In den vermittelnden Texten wird explizit Wert auf Kapitalismuskritik gelegt. Der Berlin Busters Social Club hat sich mit dem preisgekrönten Spiegel-Reporter Claas Relotius für ein Exclusive-Interview getroffen, um darzustellen, was sie mit ihrem Projekt bewirken wollen. Leider verhinderten die aktuellen Ereignisse, dass der Spiegel es druckt, deshalb sei es hier auf Indymedia veröffentlicht.
Unterwegs im Land der Kommunikationsguerilla
Tief in den unendlichen Weiten Berlin-Neukölls bin ich zum Interview mit Kollektivangehörigen des Berlin Buster Social Clubs verabredet. Doch dafür muss ich den weiten Weg vom Spiegel-Hauptstadt-Büro in den wildesten Stadtteil Berlins hinter mich bringen. Wie es in dem als “rechtsfreien Raum” bekannten Norden Neuköllns zugeht, sieht man gleich am Ortseingang am Hermannplatz. Unter das grüne Ortsschild mit der Aufschrift “Neukölln” haben Unbekannte ein weiteres Schild befestigt. Dort steht: “AfD Stay out!” Das Nazi-Mobbing scheint zu funktionieren: Die Gegend um den Hermannplatz ist eines der ganz wenigen Flecken in der deutschen Republik, wo Hitlers selbsternannte Nachfahren die 5%-Hürde reißen.
Durchs Gefahrengebiet
Um den Ort der Verabredung zu erreichen, muss ich derweil sogar den Mut aufbringen, an der berüchtigten Rütli-Schule vorbeizugehen. Einige der Gründschüler*innen, die schubsend und boxend an mir vorbeilaufen, sehen auch echt gefährlich aus. Kein Wunder, dass die Berliner Polizei den ganzen Kiez zum “Gefahrengebiet” erklärt hat. Zum Glück erreiche ich mein Ziel, einen szenigen Schuppen in der Mitte der Weserstraße lebend und ohne Überfall.
Der Berlin Busters Social Club
Dort heißt es erstmal warten. Denn unsere Verabredung ist offensichtlich noch nicht da. Gerade, als ich frustriert gehen will und darüber nachdenke, ob ich das Interview nicht einfach komplett erfinde, treten zwei Personen auf mich zu. Die beiden tragen alberne Pappmasken vor den Gesichtern. Die eine zeigt das Gesicht von Boris Becker. Die andere hat mit etwas Fantasie Ähnlichkeit mit Caroline Kebekus. Ansonsten tragen sie schwarze Windbreaker, Kapuzenpullover und Trekkinghosen mit vielen Taschen, die vollgestopft sind, wie man an den deutlichen Ausbeulungen erkennt. Einer von beiden hat weiße Tennissocken an, was wohl eine Anspielung auf die Tennislegende Becker sein soll, aber nicht so recht zum eher martialischen Gesamteindruck passen will. Die Inszenierung im krassen Streetfighter-Look wird außerdem leicht gestört durch die lackierten Glitzer-Fingernägel.
Boris Ad-Buster und Caroline Überklebestuss
„Bist Du der Claas?“ spricht mich der eine an. „Wir sind Boris Ad-Buster und Carolin Überklebestuss vom Berlin Busters Social Club“. Die beiden bitten mich, mit mitgebrachten bunten Aufklebern meine Handykamera zu überkleben. Erst dann nehmen sie die albernen Masken ab. Darunter kommen zwei grinsende Gesichter von Mitzwanziger*innen zum Vorschein. Na toll, denke ich, das ist alles so skurril und klischeehaft, damit gewinne ich garantiert keinen Preis… Aber weil die beiden sich sofort zwei gerstehaltige Kaltgetränke bestellen und mich mehr als nur unterschwellig nötigen, das Bier als Spesen bei der Redaktion abzurechnen, stelle ich zum Einstieg die Frage, die Journalist*innnen immer am meisten interessiert:
Sind das eure echten Namen?
Boris Ad-Buster: Wieso? Ist was mit den Namen nicht in Ordnung?
Carolin Überklebestuss: Adbustian Bustewka, Bonny Buster, Sonja Brünzels und Buster Keaton machen auch bei uns mit.
Boris: Wir haben auch überlegt, uns The Mighty Mighty AdBustones zu nennen (In Richtung Carolin) Hab ich dir doch gesagt, dass der Name besser wäre!
Na gut. Dann erzählt mal: Was ist der Berlin Busters Social Club?
Boris: Wir sind Enthusiast*innen. Wir begeistern uns für Kommunikationsguerilla aller Art. Wir sammeln Geschichten und Stories von schönen gelungenen Aktionen. Über die Jahre ist da einiges zusammengekommen. Wir haben uns entschlossen mit „Unerhört – Adbusting gegen die Gesamtscheiße“ ein Best of herauszugeben. Wir hoffen, die Aktionsform bekannter zu machen und rufen zum Nachmachen auf. Deswegen haben wir auch noch eine Anleitung zum Selbermachen beigefügt. Die ist natürlich nur für das Adbusten im eigenen Wohnzimmer oder Vereinsheim gedacht. Privatgebrauch sozusagen.
Carolin: Das meinen wir übrigens ernst. Wir machen nie Aktionen, wir reden nur drüber. Und wenn doch dann im Wohnzimmer oder im Vereinsheim. Das teilen wir uns mit den Feministischen Brieftaubenfreund*innen Graefekiez und den Freund*innen der Philatelie Bergmannstraße u. U. e.V. von 1911. Die würden wir ja mit reinziehen, wenn wir jetzt zu Straftaten im öffentlichen Raum aufrufen würden. Wir wollen doch weiter auf deren jährlicher Briefmarkentauschbörse unsere schönsten Geschichten ausstellen.
Was wollt ihr mit eurem Buch erreichen?
Carolin: Der öffentliche Raum ist seit der griechischen Agora ein Forum für den öffentlichen Meinungsaustausch. Im Kapitalismus sind gesellschaftliche Ressourcen wie der Zugang zum öffentlichen Raum und dem gesellschaftlichen Diskurs jedoch nicht gleichberechtigt für alle zugänglich und zudem der Verwertungslogik unterworfen. Adbusting ist da eine Möglichkeit zumindest punktuell die herrschenden Regeln des Zuganges zum öffentlichen Raum zu brechen.
Mit dem Adbusting kann man sichtbar machen und umkehren, wer im öffentlichen Raum eine Sprecher*innenposition einnehmen kann und wer nicht. Dies findet zwar zunächst nur auf einer symbolischen Ebene statt, zeigt aber auf, dass man die Art und Weise, wie unsere Welt geregelt ist, auch ganz anders organisieren könnte: Nämlich emanzipatorischer und herrschaftsfreier.
Boris: Und wir wollen Arschlöcher ärgern und Spaß haben. Und jede Menge Kohle mit dem Buch machen. Eine 10.000er Auflage: Da hab ich gleich mal meinen Job als Ex-Tennisprofi gekündigt.
Carolin: Hinzu kommt, dass die Werbedinger in Berlin fast an jeder Ecke, also auch vor jeder semi-wichtigen Hütte stehen. Man kann da also sehr elegant den wichtigen Leuten dieser Welt via Werbevitrine die eigene Meinung vor die Haustür stellen.
Was ist das Besondere an eurem Buch?
Carolin: Wir waren mal beim ZPS. Aber ich bin allergisch gegen das Altöl, dass die sich immer ins Gesicht schmieren. Dann waren wir bei Berlin Werbefrei. Sonja und Bonny haben zu viel über die Sozis gelästert und sind deshalb raus geflogen. Dann waren wir beim Peng-Kollektiv. Aber da war die Planstelle des größenwahnsinnigen Verrückten schon besetzt und deshalb kein Platz mehr für Boris. Nur den Buster Keaton, den mochten immer irgendwie alle.
Boris: Auf diesen scheißteuren, inhaltlich latent braven, weil von externen Geldgeber*innen abhängigen Hochglanzaktivismus hatten wir auf Dauer keine Lust. De facto scheitert da ’ne Aktion, wird aber hinterher als Erfolg verkauft. Ein solcher Umgang mit dem hohen Gut der Glaubwürdigkeit ist mit uns nicht drinne. Und die selbst darstellerische Art dieser selbsternannten Aktionskunstkollektive nervt! (Carolin kann sich ein Lachen kaum verkneifen). Da haben wir beschlossen, was Eigenes zu gründen.
Carolin: Seitdem sammeln wir Geschichten von Kommunikationsguerilla-Aktionen, die ohne viel Geld und mit Bordmitteln, die es in jeder linken WG ääh Taubenzüchter*innenvereinsheim gibt, auskommen. Und auch inhaltlich haben wir uns immer weiterentwickelt. Auf strukturell antisemitische Verschwörungstheorien á la “Die Werbung manipuliert uns alle” hatten wir irgendwann kein Bock mehr. Das machen wir auch im Buch deutlich. Wir bemühen uns, beim Diskurs zum Thema Werbung eine explizit kapitalismuskritische Position einzunehmen. Ob das gelungen ist, mögen die Leser*innen beurteilen…
Boris: Darüber hinaus haben wir Aktionsfotos veröffentlicht, die die Sagbarkeitsfelder, was linksliberale Bildungsbürger*innentum als gut und wünschenswert betrachten, deutlich verlassen. Wir zeigen nicht nur Adbustings, die sexistische oder rassistische Diskurse in der Gesellschaft sichtbar machen. Wir zeigen Adbustings zur Einheitsfeier, die netten Nationalismus kritisieren. Wir haben Bilder von Aktionen mit Polizeiwerbung, die auch demokratische Herrschaft kritisieren. Im Buch sind Bilder von Adbusting zur Bundeswehr, die die neo-imperialistische deutsche Außenpolitik, die auch von Grünen mitgetragen wird, grundsätzlich in Frage stellen. Auch die doppelte Kritik an rassistischer Spendenwerbung wird bei den linksliberalen Fans von Peng&Co. nicht gut ankommen.
Ihr gebt euer Buch ja im Selbstverlag heraus. Habt ihr keinen Verlag gefunden?
Boris: Und unsere Kumpelz von den Feministischen Taubenfreund*innen sagen, dass man Kunst nicht kommerzialisieren darf. Auch deshalb haben wir uns für den Selbstverlag entschieden.
Carolin: Eigentlich finden wir diese Phrase ganz schön dumm. Schließlich muss es darum gehen, das alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben abseits von Verwertungszwängen führen können. Und nicht nur ein paar privilegierte Künstler*innen. Aber die pathetische scheinbar kämpferische Phrase darf halt in keinen Interview mit Aktionskünstler*innen fehlen. Wir fügen uns sozialen Erwartungshaltungen des Genres, also sagen wir das hier auch.
Boris: Wir haben nicht den Eindruck, dass in der deutschen Verlagslandschaft Interesse an empowernden Aktionsbüchern besteht, die über die langweiligen Ratschläge eines ständig zwischen seinen Unis in Flensburg, St. Gallen und Atlanta hin und her jettenden selbsternannten Klimaschutz-Professors wie Harald Welzer hinausgehen. Die hätten den ständigen unterschwelligen Aufruf zu Straftaten und die Anleitung zum Vitrinen öffnen sicher nicht gut gefunden.
Wie habt ihr das Buch finanziert? Das war doch sicher teuer?
Carolin: Für die Finanzierung haben wir eine super moderne Crowdfunding-Kampagne gestartet, so wie Campact. Leider hat das nicht so viel gebracht. Linke haben halt keine Asche. Also haben wir uns das mit der Goldmünze ausgedacht. Aber wir waren dann ein bisschen zu oft Bier trinken.
Boris: Das ist bei uns so eine Art Kreativ-Maßnahme, deshalb war die Kohle schnell wieder weg.
Carolin: Deshalb drehen wir wie alle Autonomen Gruppen Tourist*innen auf Straßenfesten selbstgemachten Schnaps an. Möchtest Du mal unsere Kreation „Rote Hilfe“ probieren? Zufälligerweise haben wir ’ne Flasche dabei.
Boris wühlt in seinen Taschen, findet dort drei kleine Schnapsbecher aus Aluminium. Er stellt sie vor Carolin ab. Dieser schenkt sofort randvoll mit roter Flüssigkeit ein. Angesichts des Getränke-Picknics fühle ich mich an die 80er erinnert. Die Wände sind voll mit linksradikalen Propaganda-Plakaten, Bier gibt’s nur in der Flasche und die Beleuchtung schummrig. Man hat die Wahl zwischen „Sterni“ und „1312“. Zu dem 80er-Feeling passt auch die Musik, denn die Youtube-DJane spielt schon zum zweiten mal den Soundtrack von Ghostbusters aus schäpperigen Boxen. Ich bin versucht, immer wenn der Refrain kommt, mitzusummen und “Whom yo gotta call? Adbusters!” zu murmeln. Als ich den Schnaps probiere, bemerke ich, dass in dem Zeug vermutlich ein Tonne Chili und eine Wagenladung Tabasco untergemischt ist. Den beiden scheint es nichts auszumachen. Als ich mein Glas absetze klimpert Boris mit einer Spardose und nötigt mich, Geld in den Schlitz zu stopfen. Natürlich gleich dreimal. Was mich auf die nächste Frage bringt…
Was passiert mit den Einnahmen aus dem Buch?
Boris: Wir geben das Buch gegen 10-20 Euro Spende bei unseren Veranstaltungen ab. Wenn Leute versprechen, dass sie Adbusting und Kommunikationsguerilla bei sich im Wohnzimmer selbst ausprobieren, haben wir auch nichts dagegen, wenn die Bücher geklaut werden. Wenn’s überhaupt ein Plus am Ende geben wird, machen wir erst mal ordentlich Kreativ-Maßnahmen. Und wenn dann noch Kohle über ist, stecken wir das in unseren Antirepressions-Schutzfond und in neue Aktionen.
Carolin: Aber natürlich nur im Vereinsheim oder im Wohnzimmer.
Wie geht’s weiter?
Carolin: Als nächstes machen wir eine große Rundreise, um das Buch vorzustellen. Ladet uns ein! Wir wollen die Aktionsform Adbusting noch bekannter machen.
Boris: Und wir organisieren bald den Europe Busters Social Club, ein internationales Treffen von Adbusters und anderen Kommunikationsguerilla-Künstler*innen hier in Berlin. Das wird das ganz große Ding.
Carolin und Boris war wichtig, dass ich die letzten Sätze genauso wieder gebe. Ich tue ihnen den Gefallen, die zwei sind mir auf gewisse Weise sympathisch. Den Szene-Diskurs voller spießiger Ernsthaftigkeit scheinen die Zwei lange hinter sich gelassen zu haben, ohne dabei politische Standpunkte einzubüßen. Ob ihr überzogenes Gehabe selbst eine Stichelei gegen den Rest der Kommunikationsguerilla-Szene ist, will ich noch wissen. Einstimmig antworten die beiden mit einem tiefen Neeein! und ich sehe meinen Verdacht bestätigt. Was von ihrem Gerede nun wahr und was gelogen ist – das sollen jetzt andere beurteilen. Ich ertappe mich beim dritten, vierten und fünften Bier mit Roter Hilfe. Jedes Mal klimpern die beiden wieder mit ihrer Spardose. Weit nach 4 Uhr wanke ich alleine aus der Bar. Die beiden sind noch mitten beim kreativen Brainstormen. Zum Glück fahren Busse und Bahnen schon wieder. Sonst müsste ich wieder durchs Gefahrengebiet und mich den Berliner Cops und ihren angeblich “verdachtsunabhängigen” Kontrollen aussetzen…