Adbusting: So nennen es Aktivist*innen, wenn sie Werbeplakaten mit Farbe oder Aufklebern einen neuen Sinn geben, sodass diese politische Botschaften verkünden. Mit solchen Kunstwerken füllt der Kunstraum Kreuzberg nun eine ganze Ausstellung. „Werbepause: The Art of Subvertising“ startet am Freitag, den 17. Juni 2022. Mit dabei: Kunstwerke, derentwegen die Berliner Polizei Hausdurchsuchungen und DNA-Analysen veranstaltete. Auch der Berliner Verfassungsschutz meldete 2018/19 drei Adbusting-Aktionen ans Terrorabwehrzentrum GETZ. „Wir danken Stéphane Bauer, dem Leiter des Kunstraums Kreuzberg, dass er eine so mutige und politische Ausstellung möglich macht und nicht vor möglichen Konsequenzen zurückschreckt“, sagt Boris Buster vom Berlin Buster’s Social Club. „Die Ausstellung ist ein wichtiger Beitrag zur Verteidigung der Kunst- und Meinungsfreiheit gegen staatliche Übergriffe.“
Über 50 Künstlerinnen aus ganz Europa Die mit 75.000 Euro vom Hauptstadt-Kulturfonds geförderte Ausstellung versammelt Werke von über 50 Künstlerinnen aus ganz Europa. Für die Werke aus Berlin und Deutschland ist der Berlin Buster’s Social Club verantwortlich. Auf einer Ausstellungswand versammeln sie ein Original und 10 Fotografien von Adbustings, die sich mit Werbung der Polizei oder des Militärs auseinandersetzen. Ein Blick in den aktuell im Fischer-Verlag erschienen Grundrechte-Report 2022 zeigt: Jedes der Plakate zog Hausdurchsuchungen, DNA-Analysen, Meldungen ans Terrorabwehrzentrum GETZ, Einträge im Bundesverfassungsschutzbericht oder absurde Ermittlungen mit Paragrafen wie „Störpropaganda gegen die Bundeswehr“ oder „Erschleichen von Leistungen“ nach sich. Über eines der gezeigten Plakate ärgerte sich sogar Innenminister Horst Seehofer so sehr, dass er persönlich Anzeige wegen „Verfassungsfeindlicher Verunglimpfung der Regierung“ erstattete.
„Wir sind der Meinung, dass eine Ausstellung über politische Kunst in Berlin auch politische Kämpfe in Berlin abbilden muss“, sagt Boris Buster. Deshalb habe der Club gezielt Werke aus seinem Archiv ausgesucht, gegen die die Polizei oder die Geheimdienste vorgegangen seien. „Traurig aber wahr: Deutsche Polizistinnen und Geheimdienste jagen lieber Plakatkünstlerinnen statt Terrorist*innen.“
Tiefer Blick in die Historie des Adbusting
Darüber hinaus trägt der Berlin Buster’s Social Club einen außergewöhnlichen Teil der Ausstellung bei. „Wir haben tief gekramt im Archiv und einiges von historischem Wert gefunden“, sagt Boris Buster. Der Club zeigt anhand von Zeitungsartikeln, dass Adbusting mit Wahlplakaten bereits in den 1920ern ein Massenphänomen war. Auch Widerstandsgruppen im Nationalsozialismus bedienten sich der Aktionsform. Der Berlin Buster’s Social Club rekonstruierte mit Fundstücken aus dem Bundesarchiv in Koblenz und dem Deutsch-Russischen Museum eine Adbusting-Aktion der „Roten Kapelle“ aus dem Jahr 1942 gegen die NSDAP-Propaganda-Ausstellung „Das Sowjet-Paradies“.
Außerdem zeigt der Berlin Buster’s Social Club Gestapo-Akten aus der Gedenkstätte Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide, die Adbusting-Aktionen im besetzten Polen und den besetzten Niederlanden gegen die Rekrutierung von Zwangsarbeiter*innen dokumentieren. Auch gefälschte Zeitungen verwendete z. B. bereits der belgische Widerstand im Jahr 1943, wie ausgestellte Fundstücke aus dem Archiv des Berlin Busters Social Clubs zeigen.
„Während die gängigen historischen Abhandlungen die Geschichte des Adbustings bestenfalls bei den Situationistinnen beginnen lassen, und die Aktionsform fälschlicherweise als den ganz heißen Scheiß darstellen, um vor allem zeitgenössische Werke befreundeter Künstlerinnen zu promoten, zeigen wir, dass es Adbusting und Subvertising schon ewig gibt“, sagt Boris Buster.
Schlüssel für Werbevitrinen aus dem Snack-Automat
Wer nach der Ausstellung Lust bekommen hat, auch mal Thema im Terrorabwehrzentrum GETZ zu sein oder ein Werk zum Bundesverfassungsschutzbericht beizutragen, findet in der Ausstellung alles Notwendige. Die Ausstellungsmacher*innen funktionierten einen Verkaufsautomaten kurzerhand um. Statt Süßigkeiten oder Getränken stellt dieser nun Rohrsteckschlüssel und als „Unsichtbarkeitsmäntel“ bezeichnete Hochsichtbarkeitswesten zur Verfügung.
„Wir freuen uns sehr, dass die Verantwortlichen beim Kunstraum Kreuzberg den Mut haben, unsere Exponate zu zeigen und auch solch praktische Hilfestellung wie die Bereitstellung der Rohrsteckschlüssel erlauben“, sagt Boris Buster: „Dafür möchten wir uns herzlich bedanken. Politische Kunst muss politisch sein. Wir dürfen uns nicht wegducken vor Terrorabwehrzentrum, Geheimdienst, DNA-Analysen und Hausdurchsuchungen. Wir freuen uns, dass Stéphane und seine Leute das auch so sehen und mit der Ausstellung einen wichtigen Beitrag zur Verteidigung der Kunst- und Meinungsfreiheit leisten.“
Die Ausstellung:
Die Ausstellung „Werbepause. The Art of Subvertising“ wird am Freitag, den 17. Juni mit einem feierlichen Programm vom 17:00 bis 22:00 eröffnet. Vom Berlin Buster’s Social Club werden die Künstler*innen Boris Buster und Adbustian Bustewka anwesend und für Interviews ansprechbar sein. Die Ausstellung ist noch bis zum 21. August 2022 Sonntags bis mittwochs, jeweils 10 bis 20 Uhr und Donnerstags bis Samstags, jeweils 10 bis 22 Uhr zu besichtigen. Der Eintritt ist kostenlos.
Berlin Buster’s Social Club
Der Berlin Buster’s Social Club sammelt, archiviert und kuratiert Geschichten, Legenden und Mythen aus dem Bereich der Kommunikationsguerilla. 2019 zeigte der Berlin Buster’s Social Club die Highlights seines Adbusting-Archivs in drei Ausstellungen und über 100 Veranstaltungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 2020 erschien im Unrast-Verlag Münster das Buch „Unerhört: Adbusting gegen die Gesamtscheiße“. Aktuell ist eine Auswahl ihrer Sammlung in der Ausstellung „Werbepause. The Art of Subvertising“ zu sehen.
Mehr Infos zur Ausstellung „Werbepause. The Art of Subvertising“:
https://www.kunstraumkreuzberg.de/programm/werbepause-the-art-of-subvertising/
Mehr Infos zum Berlin Busters Social Club:
https://bbsc.blackblogs.org
Gutmann, Andreas: Adbusting: Mit Strafverfolgung gegen die Kommunikationsguerilla. In: Grundrechte-Report 2022, Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main, S. 65ff.
http://www.grundrechte-report.de/2022/inhalt/